Die wichtigsten Abgasskandal-Entscheidungen des Bundesgerichtshofs

17. Feb
Sämtliche Amts-, Landes- und Oberlandesgerichte in Deutschland orientieren sich an den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Auch im Abgasskandal haben die obersten Zivilrichter Deutschlands schon zahlreiche Entscheidungen verkündet. Hier stellen wir die wichtigsten Urteile vor.

Mitte 2020 entschieden die Richter am Bundesgerichtshof (BGH), dass die Halter von illegal manipulierten Fahrzeugen Anspruch auf Schadensersatz haben. Demnach können betroffene Verbraucher ihr manipuliertes Fahrzeug an den verantwortlichen Autohersteller zurückgeben, um dafür eine hohe finanzielle Entschädigung zu erhalten. Seit dieser Grundsatzentscheidung haben die BGH-Richter bereits vielen weitere Spezialfragen beantwortet. Wir von VerbraucherHammer stellen die wichtigsten Entscheidungen vor.

Kein Schadensersatz bei Kauf in Kenntnis

Wer bei seinem Autokauf bereits von der Manipulation des Fahrzeugs wusste oder davon hätte wissen müssen, kann keine Schadensersatzansprüche durchsetzen. Schließlich war der Fahrzeugmangel in diesem Fall zum Kaufzeitpunkt bereits öffentlich bekannt.
Anders sieht es jedoch aus, wenn der Kaufvertrag vor dem Bekanntwerden des Abgasskandals zustande kam, die Zahlung des Fahrzeugs aber erst danach erfolgte. In dem Fall lassen sich trotzdem Schadenersatzansprüche durchsetzen. Schließlich erfüllen Verbraucher lediglich den bestehenden Kaufvertrag.

“Kleiner” Schadensersatz ohne Fahrzeug-Rückabwicklung ist möglich

PKW-Besitzer, die ihr manipuliertes Auto behalten möchten, können trotzdem Schadensersatzansprüche geltend machen. In diesem Fall ist es möglich, die Summe durchzusetzen, die zum Kaufzeitpunkt zu viel gezahlt wurde. Schließlich hätten die betroffenen PKW-Halter ihre Autos nicht zum selben Preis erworben, wäre der Abgasskandal damals schon publik gewesen.

Die Durchsetzung des sogenannten kleinen Schadensersatzanspruches kann vor allem für Halter von Fahrzeugen mit einer besonders hohen Laufleistung Sinn ergeben. Sobald die erwartbare Laufleistung eines Fahrzeugs überschritten ist, ist eine Rückgabe des manipulierten Fahrzeugs nämlich nicht mehr möglich. Das ist bei einer Laufleistung von 200.000-300.000 Kilometern der Fall.

Ihren Anspruch auf den kleinen Schadensersatzanspruch können PKW-Halter aber selbst dann noch erfolgreich einklagen. Etwa 20 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises lassen sich auf diesem Wege durchsetzen. Eine genaue Berechnungsgrundlage für die Höhe des kleinen Schadensersatzes hat der BGH bislang allerdings noch nicht veröffentlicht.

Schadensersatz nach Weiterverkauf

Auch für bereits verkaufte Abgasskandal-Autos lassen sich noch Schadensersatzansprüche durchsetzen. Schließlich hat der Abgasskandal nicht zuletzt dafür gesorgt, dass die manipulierten Autos enorm an Wert verloren haben und auf dem Gebrauchtwagenmarkt deutlich weniger Geld einbringen als vergleichbare Fahrzeuge, die nicht manipuliert wurden.

Die Höhe des Schadensersatzanspruches für bereits verkaufte Autos berechnet sich aus dem ursprünglichen Kaufpreis abzüglich einer sogenannten Nutzungsentschädigung, die auf der individuellen Laufleistung des Fahrzeugs zum Verkaufszeitpunkt basiert. Außerdem wird der Weiterverkaufspreis von der fälligen Entschädigungssumme abgezogen.

Schadensersatzansprüche bei Autofinanzierung

Wenn Fahrzeughalter ihre manipulierten Autos im Rahmen einer Abgasskandal-Klage an den verantwortlichen Hersteller zurückgeben, müssen sie so gestellt werden, als wäre der Autokauf nie passiert. Wer sein Auto mit einem Ratenkredit finanziert hat, kann daher auch die Erstattung von entstandenen Extrakosten für beispielsweise Darlehenszinsen im Rahmen seiner Schadenersatzklage erreichen.

Selbst Verbraucher, die in ihrem Kreditvertrag ein Rückgaberecht integriert hatten, können Schadensersatzansprüche wegen des Abgasskandals durchsetzen. Ein solches Rückgaberecht ermöglicht es den PKW-Käufern, ihr Auto nach der Begleichung der letzten Kreditrate für eine vorab vereinbarte Summe an die Autobank zurückzugeben.

Die BGH-Richter machten im Jahr 2021 klar, dass PKW-Halter auch dann Rechtsansprüche geltend machen können, wenn ein solches Rückgaberecht zuvor nicht genutzt wurde. Das liegt daran, dass es wirtschaftlich sinnvoller sein kann, Schadensersatzansprüche wegen des Abgasskandals durchzusetzen

Verjährungsfrist im Abgasskandal: Es kommt auf den Einzelfall an

Ein besonders strittiges Thema war, wann die Verjährungsfrist im Abgasskandal eingetreten ist. Das ist der Zeitpunkt, ab dem Verbraucher ihre Rechtsansprüche nicht mehr durchsetzen können, weil diese verjährt sind. Die BGH-Richter haben grundsätzlich klargemacht, dass die Verjährungsfrist im Abgasskandal drei Jahre zum Jahresende ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme des betroffenen Fahrzeughalters beträgt. Wann ein Verbraucher über die Manipulation des eigenen Fahrzeugs Bescheid wusste, hängt jedoch vom Einzelfall ab.

So ist es im Fall des VW-Abgasskandal beispielsweise möglich, dass Verbraucher bereits im September 2015 von der Manipulation ihres Autos erfuhren, weil Volkswagen zu diesem Zeitpunkt eine Ad-Hoc-Meldung über den Abgasskandal veröffentlichte. Wer schon 2015 von der Manipulation des eigenen Fahrzeugs wusste, konnte die eigenen Rechte nur noch bis zum 01. Januar 2019 einklagen.

Allerdings ist es auch möglich, dass PKW-Halter erst im Zuge des amtlichen Rückrufs ihres Fahrzeugs von der Manipulation erfuhren. Im Rahmen des VW-Abgasskandals wurden die meisten Rückrufschreiben im Jahr 2016 versandt. Wer also erst im Zuge dieser Rückrufaktion von dem Abgasskandal erfuhr, konnte seine Rechte noch bis zum 01. Januar 2020 durchsetzen.

Verjährungshemmung durch Teilnahme an Musterfeststellungsklage

Darüber hinaus entschieden die BGH-Richter bereits, dass die Teilnahme an einer sogenannten Musterfeststellungsklage die Verjährung hemmen kann. Musterfeststellungsklagen wurden vom Gesetzgeber geschaffen, damit die Rechtsansprüche einer Vielzahl von Verbrauchern im Rahmen eines Massenverfahrens geklärt werden können, bevor die teilnehmenden Kläger ihre Rechte einzeln durchsetzen.

Der BGH führte diesbezüglich aus, dass die Teilnahme an einer solche Klage die Verjährung selbst dann hemmt, wenn ein Verbraucher sich nur in das Klageregister eintragen, um die eigenen Ansprüche später individuell durchzusetzen. Das bedeutet, dass Verbraucher nach dem Ende einer solchen Klage durch ein Urteil oder einen Vergleich bzw. nach der Austragung aus dem Klageregister ein halbes Jahr Zeit haben, um die eigenen Rechtsansprüche durchzusetzen. Erst dann tritt die Verjährung ein.

Im Rahmen des Abgasskandals gibt es aktuell nur eine Musterfeststellungsklage, die sich an die Halter von Mercedes-Fahrzeugen der Modellreihen GLC und GLK richtet. Eine weitere Musterfeststellungsklage für die Halter von manipulierten VW-Fahrzeugen endete im Jahr 2020 in einem Vergleich.

Restschadensersatzansprüche? Zeitnahe Entscheidung steht bevor

Ob nach dem Eintritt der Verjährungsfrist noch sogenannte Restschadensersatzansprüche bestehen, hat der BGH noch nicht abschließend geklärt. Bislang entschieden die obersten Zivilrichter Deutschlands lediglich, dass Gebrauchtwagenkäufer keinen Anspruch auf diese Form des Schadensersatzes haben. Das wird für Neuwagenkäufer allerdings vermutlich anders sein.

Restschadensersatzansprüche lassen sich unabhängig von der dreijährigen Verjährungsfrist bis zu zehn Jahre nach dem Fahrzeugkauf durchsetzen. Die Durchsetzung von Restschadensersatzansprüchen soll eine Entschädigung für die wirtschaftliche Bereicherung im Falle eines Betruges ermöglichen.

Noch am 21. Februar 2022 werden sich die BGH-Richter mit der Frage befassen, ob Neuwagenkäufer wegen des Abgasskandals Restschadensersatzansprüche durchsetzen können. Es ist davon auszugehen, dass die obersten Zivilrichter Deutschlands in diesem Jahr noch viele weitere Grundsatzentscheidungen im Zusammenhang mit dem Abgasskandal verkünden werden.

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